Search Inside Yourself (2012) von Chade-Meng Tan
tl;dr: Trotz der übertriebenen Werbung, des eigenartigen Covers und des außerhalb von Google unbekannten Autors ein wirklich gutes Buch für alle, die sich mit Achtsamkeit, Meditation und Empathie als Mittel für ein bewussteres, gesünderes Leben und für mehr Ausgeglichenheit beschäftigen möchten.
Der Untertitel lautet „The unexpected path to achieving success, happiness (and world peace)“, es hat Vorworte von Jon Kabat-Zinn und Daniel Goleman und wird beworben von Eric Schmidt, damals Chairman von Google. Es war ein New Times Bestseller. Es hat ein sehr eigenartiges Cover. Also – im Buchladen hätte ich es nicht gekauft. Wenn man das Buch dann öffnet, kommt auch noch Lob vom Dalai Lama und Jimmy Carter….
Aber ich hatte mich im Frühjahr 2017 bei Google zu einem der hoch gelobten Search Inside Yourself Seminare angemeldet, von dem mir schon viele vorgeschwärmt hatten. In zwei Tagen wird dabei ein großer Teil des Inhalts und der Übungen/Meditationen besprochen, erprobt und geübt. Vor dem Seminar schon gekauft und danach gelesen, machen nun viele der Versprechungen doch Sinn, finde ich.
Um was geht es? Tan war ein früher Mitarbeiter von Google, ein Software-Entwickler, der im Unternehmen Meditation und Achtsamkeit bekannt, beliebt und im Prinzip auch zu einem Teil der Unternehmenskultur gemacht hat. Er baut auf fernöstlicher Weisheit auf (mir fällt kein besseres Wort ein, weil es nicht Religion, nicht Philosophie, nicht Psychologie ist, zumindest nichts davon allein) und auf den Arbeiten von John Kabat-Zinn auf, einem Molekular-Biologen und Mediziner, der Mindfulness/Achtsamkeit untersucht hat und schon in den 80er Jahren einen 8-wöchigen MBSR-Kurs entwickelt hat (Mindfulness based stress reduction), der heute weltweit gelehrt wird. Er kombiniert einfaches Wissen über Körper, Geist und Seele, Meditationsübungen und achtsames (langsames) Yoga. Die psychologischen Grundlagen stammen vielfach von John Goleman, der das Konzept der emotionalen Intelligenz mit seinem Buch EQ propagiert hat (Link zum Beitrag dazu).
Search inside yourself als Buch ist sowohl Lesestoff zu den Konzepten als auch ein Arbeitsbuch mit Übungen, die aus dem zweitägigen Kurs bei Google oder dem Kurs in 8 Wochen mit einem Abend je Woche nach Kabat-Zinn stammen. Teile der Übungen können auch dazu dienen, eine neue berufliche oder persönliche Lebensausrichtung zu bestimmen und dann auch zu verfolgen.
Ich kann dies Buch nicht einfach empfehlen wie andere, weil es lesenswert oder interessant wäre. Jede und jeder muss sich drauf einlassen, ähnlich wie auf das Kennenlernen neuer Menschen, ein anderes Land oder eine Therapie. Vorweg ist schwer zu sagen, wie es ankommt.
Warum ist Achtsamkeit und Search Inside Yourself Teil der Unternehmenskultur bei Google geworden? Nicht, weil Dutzende meiner Mitarbeiter*innen und Kolleg*innen an den Kursen teilgenommen haben, nicht weil alle meine Vorgesetzten (ohne eine Ausnahme soweit ich weiss) regelmäßig meditieren. Nein, weil die Ausführungen zu Empathie und empathischem Führen und miteinander Arbeiten Teil der Erwartungen an Führungskräfte geworden sind. Die letzten Kapital des Buches sind auf eigene Art ein Führungshandbuch. Die Erwartungen an Führungskräfte werden in Mitarbeiterumfragen geprüft und sind mitbestimmend für Gehalt und Fortkommen von Führungskräften. Analog fließen diese Anforderungen (z. B. ambitionierte Ziele mit persönlicher Bescheidenheit verbinden zu können u. ä.) aber in die Erwartungen allgemein an alle Mitarbeiter ein, z. B. in die Kriterien des Performance Management (das über Bezahlung und Beförderung bestimmt) und in die Einstellungskriterien an. Wem Empathie und ein Mindestmaß an Self-Awareness (im Sinne von: mit seinen eigenen Emotionen umgehen zu können) nicht zugetraut wird, wird nicht eingestellt, selbst für rein reich technische Funktionen.
Noch ein Goodie zum Schluss: Das Buch ist voll mit Grafiken und gezeichneten Witzen des Filmregisseurs Colin Goh aus Singapur (die mich grafisch erinnern an die Vater und Sohn Comics von E. O. Plauen aus den 30er Jahren….) – es ist eine Erinnerung an den Humor der fernöstlichen Denktraditionen, aber ich musste mich etwas überwinden, mich davon nicht ablenken zu lassen. Ein Leseabenteuer.