Liebe – Eine Übung von Niklas Luhmann (1969/2008)

Veröffentlicht von MeinolfMeyer am

tl;dr: Eine spannende kurze Lektüre für alle, die sich Liebe einmal aus dem Blickwinkel eines Soziologen anschauen wollen. Leichter lesbar als sein Buch zum gleichen Thema von 1982.

Das äußerlich wie ein kleiner Gedichtbad oder ein Liederbuch daherkommende Werk mit 76 kleinformatigen Seiten ist der Abdruck eines Vorlesungsmanuskriptes von 1969, geschrieben in Dortmund (das ist an sich ist schon gut). Es ist erst lange nach Luhmanns Tod im Jahr 1998 entdeckt worden im Nachlass. Anders als das eher theoretische, komplexe Buch „Liebe als Passion“ von 1982 ist es auch für Systemtheorie-Laien einigermaßen gut lesbar. Es wendet die Luhmann’schen Theorie-Begriffe (die er teilweise erst nach dieser Vorlesung veröffentlich hat) sowohl auf die Geschichte der Liebe als auch besonders auf Phänomene unserer Zeit an: Auf die Privatheit der Liebe, auf den Wegfall der familiären und institutionellen Erwartungen dazu im 20 Jahrhundert in ausdifferenzierten Gesellschaften und vieles mehr.

Warum sollte man dieses Buch lesen? Wer Systemtheorie-Fan oder Luhmann-Jünger*in ist, kann damit eine Lücke schließen. Alle anderen können sich ihm hier einmal auf einfache Weise nähern. Für mich wichtig: Die Überlegungen von 1969 sind ihrer Zeit weit voraus aus meiner Sicht. Sie sind auch gültig in einer Zeit der Gleichberechtigung der Geschlechter (auch wenn Luhmanns Alltagsbeispiele ihn selbst dort nicht verorten), für Liebe in LGTBQ-Communities und decken eigentlich schon Phänomene wie den Verzicht auf die Ehe in Japan und „Freundschaft+“ ab, von denen Luhmann nichts wissen konnte.

Zwei Zugaben:
1. Nachdem ich mich durch „Liebe als Passion“ schon einmal früher durchgearbeitet hatte, bin ich auf dieses Buch erst im letzten Jahr durch eine Job-Bewerberin aufmerksam geworden – während des von mir geführten Interviews …
2. Der Link zu einem Video-Interview mit Niklas Luhmann, in dem er Aspekte aus beiden Liebes-Büchern den Zuschauer*innen erklärt.