The Birth of a Nation – Film von 1915

Veröffentlicht von MeinolfMeyer am

tl;dr: Wenn man sich mit Rassismus befasst, taucht der Film immer wieder auf: Ein Meilenstein der Filmgeschichte und ein unfassbar schlimmer Beitrag zu Rassenhass und -trennung.

Zum Inhalt: Es geht um Präsident Lincoln und die Zeit nach dem amerikanischen Bürgerkrieg, in dem der Süden trotz verlorenem Krieg und Verbot der Sklaverei die alte getrennte Ordnung wiederherstellte. Helden der komplexen Geschichte sind zwei weiße Familien. Der Ku-Klux-Klan, der zum Zeitpunkt des Films nur noch sehr schwach war, wird als Retter der weiß-dominierten Ordnung der Nation dargestellt. Schwarze als infantil, straffällig und sexuell aggressiv.

Wenn man den auch ansonsten sehr spannenden Wikipedia-Eintrag zu diesem Stummfilm aufruft, steht bei den Reaktionen, dass es Proteste von schwarzen Aktivisten gab. Außerdem sind wohl weitere schlimme Szenen (verherrlichende Darstellungen des Sklavenhandels und noch mehr zur Gefährlichkeit schwarzer Männer für weiße Frauen) auf Druck von Politikern herausgeschnitten worden für die Endfassung der extrem erfolgreichen Aufführungen in allen Teilen der USA. Man machte sich Sorgen um den Frieden im Land. Zur Reaktion der Weißen findet sich nichts.

Genau diese Frage wurde nun untersucht: Inwieweit hat dieses fiese Stück Filmgeschichte die Lynchjustiz und das Wiedererstarken des Ku-Klux-Klan begünstigt und befördert? Der Economist berichtet in der Ausgabe vom 27. März 2021 von einer Forschungsveröffentlichung aus Harvard. Anhand der Orte der Aufführungen, der Orte von Lynchmorden weißer Mobs an Schwarzen und der Geschichte der vielen lokalen Chapter des KKK lässt sich mit statistischen Methoden die Wirkung des Films beschreiben.

The Birth of a Nation wurde damals von 10% der Amerikaner gesehen, aber nicht überall gab es schon Kinos. An den Orten der Aufführungen sind in den Monaten nach der Aufführung mehr Lynchmorde passiert und der Effekt auf das Bestehen eines KKK-Chapters reicht über Jahrzehnte bis zum Ende 2. Weltkriegs. Mögliche verzerrende Effekte, wie dass der Film ohnehin nur in besonders rassistischen Counties der USA gezeigt wurde, konnten in der in der statistischen Analyse kontrolliert werden. Also, es ist Zeit, dass der Wikipedia-Eintrag vielleicht auf die Reaktionen erweitert wird, die der Film bei den Weißen in den USA hatte.

Wo wir uns schon mal mit diesem Film beschäftigen: Es ist der erste Stummfilm in voller Läge (weit mehr als 2h lang). Es ist der erste Film, der mit Noten für Kino-Orchester geliefert wurde. Dazu wurde neue Musik geschrieben, Bekanntes verwertet und populäre Musik aus Europa verwendet: Der Freischütz von Carl-Maria von Weber, der Walküren-Ritt von Wagner, Beethovens 6. Symphonie, bekannte Volkslieder, Star-spangled banner und vieles andere. Dazu kamen viele Innovationen in der Film-Technik (Close-ups, Fade-outs, Schlachtszenen…) – die Wirkung auf die Zuschauer*innen muss damals überwältigend gewesen sein.

Im Film sind alle Schwarzen (außer Komparsen) durch weiße Schauspieler*innen mit schwarzem Make-up gespielt worden. Seit ich das weiß, kann ich verstehen, warum dieses Black-facing genannte Verfahren immer schon Wut von Menschenrechts-Aktivist*innen auf sich gezogen hat. Auch die Kontroverse, ob entsprechende Party-Verkleidungen OK sind – hier ein Link zur Diskussion in den USA – ist für mich entschieden: Geht nicht mehr, einfach aufhören damit!

Hinweis: Ich habe in der Doku 13th (eine Netflix-Produktion zur rassistischen Schieflage im Strafvollzug der USA) zu ersten Mal von The Birth of a Nation gehört (die Rezension dazu ist noch nicht fertig). Dort wird der Film als die Schablone gezeigt, mit der viele Weiße bis heute ihre schwarzen Mitbürger*innen beurteilen.

Noch ein letzter Hinweis: Ich habe den Film selbst bisher nicht gesehen – wenn das mal passieren sollte, gibt es hier eine Ergänzung.